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Wie ein Präsident seine Partei aus dem Jammertal holt

16. April 2018

CVP-Pfister muss Vergleich mit FDP-Müller nicht scheuen

 

BERN – Die CVP ist im Jammertal – daran ändert auch der Sitzgewinn im Genfer Kantonsparlament nichts. Parteipräsident Gerhard Pfister muss sich daher immer öfter den Vergleich mit seinem FDP-Vorgänger Philipp Müller gefallen lassen, der den Freisinn wieder auf die Erfolgsspur brachte. Doch Pfister muss diesen Vergleich nicht scheuen.

 

Ruedi Studer

 

CVP-Präsident Gerhard Pfister (55) ist nicht zu beneiden. Im April 2016 übernahm er eine Partei im rasanten Sinkflug. Bei den Nationalratswahlen 2015 hatten gerade noch 11,6 Prozent der Wähler den Christdemokraten ihr Vertrauen geschenkt – ein bisheriger Tiefpunkt. Nur noch halb so viele wie zu den besten CVP-Zeiten in den 1960ern.

Pfister ist angetreten, diesen Sinkflug zu stoppen – und vielleicht sogar die Kehrtwende herbeizuführen. «Ein Turnaround kann Jahre brauchen, wir werden ihn aber schaffen!», sagte er im Herbst 2016 zu BLICK. Und er machte eine Zielvorgabe: «2017 müssen wir einzelne kantonale Wahlen gewinnen, um die Trendwende einzuleiten.»

 

Nur Neuenburg und Genf sind Lichtblicke

Am 23. April feiert Pfister sein Zwei-Jahres-Jubiläum als Parteichef. Doch wirklich zu feiern gibt es nichts. Zwölf kantonale Parlamentswahlen in die Ära Pfister. Die bittere Bilanz: Ein Minus von 19 Mandaten. Einzig in Neuenburg – und gestern in Genf – verzeichnete die CVP je einen Sitzgewinn.

Und so passt Pfister seine ehrgeizigen Ziele unterdessen an. «Der Turnaround für eine Partei, die seit Jahren nicht vorwärtskommt, braucht Zeit.» Galten ihm vor nicht allzu langer Zeit die Nationalratswahlen 2019 als Gradmesser für seine Prädidentschaft, spricht er nun schon von den Wahlen 2023, bei denen er 15 Prozent Wähleranteil erreichen will.

 

Von der FDP lernen, heisst siegen lernen?

Ein Lehrstück dafür, wie man eine Partei zurück auf den Erfolgspfad führt, bietet die FDP. Pfisters Ausgangslage ist vergleichbar mit jener von Ex-FDP-Chef Philipp Müller (65). Der Aargauer übernahm im April 2012 ebenfalls eine Partei im Abwärtstrend. Und auch er vermochte diesen anfangs kaum zu stoppen: Bei zehn kantonalen Parlamentswahlen in den ersten zwei Jahren als Parteichef verbuchte Müller ein Minus von 16 Sitzen.

Erst danach ging es langsam, aber kontinuierlich bergauf, sodass Müllers kantonale Negativbilanz bis Herbst 2015 auf ein Minus von fünf Sitzen schrumpfte. Die Trendwende war geschafft. Bei den nationalen Wahlen gewann die FDP 1,3 Prozent hinzu und bei der Stabsübergabe 2016 an Petra Gössi (42) stand Müller kantonal sogar mit einer Plus-2-Bilanz da. Unter Gössi hat die FDP weiter Boden gutgemacht. 

Die feinen Unterschiede machen es aus

Der Müller-Effekt hat schlussendlich also eingeschlagen, doch dringt auch der Pfister-Effekt zur Wählerschaft durch? Pfisters Hürde ist jedenfalls um einiges höher – aus folgenden Gründen:

  • Die Ausrichtung:Müller hat seine Partei neu justiert. Sein Rezept: Er hat sich von der Finanzplatz-FDP und von der Wirtschaftselite distanziert und die KMU-Werkplatz-FDP in den Vordergrund gerückt. Dazu gehörte, dass er eine einfache Sprache benutzte, «Pfui-Themen» ansprach und auch mal einen Topbankmanager als «Arschloch» abkanzelte.
    CVP-Chef Pfister hingegen versucht die Neuausrichtung auf wertkonservativen Pfaden. Er pocht auf eine Wertedebatte, präsentiert sich als Verteidiger des Abendlands und prägt das Label «bürgerlich-sozial». So richtig kommt dieser neue Konservatismus bei der Basis bislang nicht an.
  • Die Nähe zur SVP:Ausgerechnet Müller, der einst den Ausländeranteil in der Schweiz auf 18 Prozent begrenzen wollte, ist zum eigentlichen SVP-Schreck mutiert. Die Durchsetzungs-Initiative der SVP bekämpfte er mit dem Vorschlaghammer («Sie ist ein Anschlag auf die Schweiz!») und bei der verwässerten Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) half er an vorderster Front mit.
    Unter Pfister hingegen driftet die CVP wieder stärker nach rechts. Bei der MEI-Umsetzung wollte er eine härtere Lösung und auch beim Burkaverbot zieht Pfister mit. Ob er damit Wähler von der SVP zurückgewinnt, ist fraglich. Stattdessen droht ihm der linke CVP-Flügel abzuwandern.
  • Der Typ:Von Müller konnte man halten, was man wollte. Aber er gehört zu jenen Politikern, mit denen man gern ein Bier trinkt. Seine verbalen Rundumschläge wirkten authentisch. Einer, der den Stammtisch nicht scheut und mit jedem gut kann.
    Das heisst nicht, dass Pfister den Kontakt zum Wahlvolk scheut. Doch er wirkt überlegter, intellektueller, distanzierter. Einer, der lieber einen dicken literarischen Wälzer liest als an einer Chilbi eine Bratwurst verdrückt. Pfister fehlt es an Volksnähe.
  • Die Ambitionen:Während für Müller eine Bundesratskandidatur kaum je ein Thema war, schielt Pfister auf die Nachfolge von CVP-Bundesrätin Doris Leuthard (54), die auf eine weitere Legislatur verzichtet. Solange kein offizielles Rücktrittsdatum feststeht, will sich Pfister zu dieser Frage nicht äussern. Doch damit sorgt er in seiner Partei für Verunsicherung, ob sie mitten im Wahlkampf plötzlich ohne Parteichef dasteht. Das ist Gift für die Partei.

 

Neben den unterschiedlichen Ausgangslagen in den Kantonen sind auch das Gründe, weshalb Pfister in den ersten beiden Amtsjahren mehr Sitze verloren hat als Müller. Und weshalb er sich bei seiner Rückeroberung aus einem tieferen Loch herauskämpfen muss.

Der nächste Formtest steht schon am 10. Juni an. Dann wählen Glarus und Graubünden. Für Pfister gilt: Weiterverlieren verboten.

Publiziert am 16.04.2018 | Aktualisiert vor 19 Minuten

Aus Blick, 16.4.2018

 

 

 

 

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